Der Wettermann im Autoradio verkündet für heute eine mutmaßliche Temperatur von bis zu 35 Grad. Ich murmle einen leisen Fluch. Ausgerechnet jetzt. Genau an dem Tag, an dem ich mit einigen Damen von der Seniorensportgruppe einen Ausflug machen will. Das kann ja heiter werden!
Als ich dann kurze Zeit später um die Ecke am vereinbarten Treffpunkt biege, sehe ich sie alle stehen. Keine hat, trotz der zu erwartenden Hitze, das Handtuch geschmissen. Alle trippeln aufgeregt und mit glänzenden Augen hin und her. Zehn Frauen begrüßen mich mit einem »Da bist Du ja » und »Wir sind schon alle da«. Es ist halt wie immer, sie sind überpünktlich und ich komme auf den letzten Pfiff. Ich schaue auf die Uhr. Es ist noch etwas Zeit. Da hält ein Transporter von der AWO vor uns an. Na der kann es ja wohl nicht sein, da passen wir nicht rein. Der Fahrer beugt sich aus dem Fenster und fragt, ob wir vielleicht auf einen Bus warten. Der würde um die Ecke auf dem Parkplatz stehen. Ich bedanke mich und sage, dass ich mal nachschauen werde. Aber für meine Truppe gibt es kein Halten mehr. Sie eilen mir hinterher, obwohl sie ja immerfort behaupten, sie könnten nicht so schnell laufen. Tatsächlich, da steht ein kleiner Bus. Ich frage den Fahrer und er bestätigt, dass er für uns bestellt ist. Inzwischen sind alle eingetrudelt. Dummerweise stehen wir aber auf der Fahrerseite des Busses. Elli fragt verwundert: »Hat der keine Tür?« Doch die ist ja auf der anderen Seite und wir laufen einmal um unser Gefährt herum. Ehe ich mich zum Helfen beim Einsteigen postieren kann, sind die Ersten schon im Bus. Dort entdecken sie die Sicherheitsgurte. »Müssen wir uns anschnallen?« kommt prompt als Frage. Unser noch sehr junger Fahrer meint: »Ich sage gleich was zu diesem Punkt«. Doch er kommt nicht dazu. Alle sprechen durcheinander. An mein Ohr dringen solche Satzfetzen wie:»Ich habe gar keinen Gurt. Ich find das Ding zum Anschnallen nicht. Jetzt ist er wieder rausgerutscht. Es hat nicht Knack gemacht. «Also eile ich, von Sitz zu Sitz und assistiere. Als dann alle ordnungsgemäß angeschnallt sind, kann es losgehen.
Zum Glück ist unser Fahrer nicht nur geduldig, sondern er fährt auch sinnig. So kann ich mich entspannt in meinem Sitz in der ersten Reihe zurücklehnen und dem Gemurmel hinter mir lauschen.
Denkste!
»Das ist aber ganz schön frisch hier« dringt es an mein Ohr. »Fass mal meine Arme an, die sind eiskalt« ertönt eine zweite Stimme. Also schnalle ich mich ab und versuche die Lüftung so zu stellen, dass niemand direkt von dem kühlen Luftzug getroffen wird. Eigentlich sollte das funktionieren. Meine Mitfahrerinnen sind anderer Meinung. Sie halten die Hände vor die Lüftungsdüsen und meinen, dass es immer noch zu kalt wäre. Also bitte ich den Fahrer, die Klimaanlage etwas weniger aufzudrehen. Der macht das auch, ohne zu murren und alle sind zufrieden.
Der Weg zum Plauer See verfliegt unter ständigem Gemurmel. Wenn man sich nur einmal in der Woche sieht, dann hat man sich viel zu erzählen. Beim Sport stört das ja manchmal, aber wenn man einen Ausflug macht, dann ist das voll in Ordnung finde ich.
Wir steigen in der Seeluster Bucht aus. Unseren Bus schicke ich zum Parken und meine Damen in den Frühstücks-Garten des Seehotels. So kann ich in Ruhe erst einmal nachschauen, ob unser Boot schon am vereinbarten Treffpunkt angelegt hat. Da es eine Weile dauert, bis alle ausgestiegen sind haben die ersten schon Kaffee bei der herbeieilenden Kellnerin bestellt. Dummerweise ist diese nur anfänglich bei der Bedienung so schnell und lässt sich dann recht lange nicht mehr sehen. Ich gehe inzwischen nach unten zum Bootsanleger. Unser Boot ist schon da. Der freundliche Bootsführer sagt, dass wir ganz in Ruhe machen sollen und wir uns nicht beeilen brauchen. Schließlich sind wir ja lange vor der vereinbarten Zeit da. Also steige ich die Treppen zum Seehotel wieder hinauf. Dort sitzen meine Damen und sind wie immer in eifrige Gespräche vertieft. Paula und Hildi fragen nach den Toiletten. Ich denke mir, dass ich mal lieber mitgehe, und tue das auch. Als ich zurückkomme, fehlen drei andere Damen meiner Mannschaft. Die wären auch zur Toilette, antwortet man mir auf meine Frage. Also setzte ich mich erst einmal wieder hin.
»Müssen wir nicht los?« werde ich von mehreren Seiten bestürmt.
»Das ist doch unser Boot da unten, oder?«
»Das sieht aus wie auf dem Foto, das du uns gezeigt hast.«
Ich beruhige alle, sage, dass nur wir dieses Boot gemietet haben und, dass es nicht ohne uns fährt. Dann mache ich mich doch mal auf die Suche nach den drei Verschwundenen. Ich frage die Kellnerin, ob es noch eine andere Toilette gibt. Gibt es nicht. Komisch.
Eigentlich hätte ich sie dann vorhin auf dem Weg dahin treffen müssen. Leicht besorgt eile ich durch die Lobby des Hotels. Da kommen mir die Drei entgegen und ich atme auf. Auf die Frage wo sie denn gewesen wären, bekomme ich die Antwort, dass sie sich verschwatzt hätten. Na dann ist ja alles gut und wir können aufbrechen. Irgendwie habe ich das Gefühl, das die anderen Gäste nicht böse sind, dass wir weiter ziehen. Aber das ist mir auch egal.
Zuerst einmal müssen wir die Treppen zum Ufer hinab. Die haben nur auf der rechten Seite ein Geländer. Es dauert eine Weile, bis ich alle überzeugen kann, dass sie sich dort auch festhalten. Ich wiederhole erneut: »Das ist unser Boot. Das fährt nicht ohne uns.« Mit diesen Sätzen versuche ich, die ganz Eiligen zu bremsen. Fehlt mir noch, dass jemand die Treppe herunter stürzt.
Auf das Boot kommen dann alle viel besser als ich gedacht hatte. Plätze werden gesucht, Stullen ausgepackt und die unterbrochenen Gespräche wieder aufgenommen. Unser freundlicher Bootsführer hat, ähnlich wie der Busfahrer, wenig Chancen groß etwa zu erzählen. Dafür legt er ab und wir überlassen uns der angenehmen Seeluft. Es gibt immer noch genug zu schwatzten, aber trotzdem bleiben nicht alle an Ort und Stelle sitzen. Muss man ja auch nicht. Hier ist Platz genug zum Herumlaufen. Die eine oder andere macht also einen kleinen Rundgang und schaut sich die Landschaft rundherum an. Maria ist sogar so mutig, dass sie sich mit einem Klappstuhl auf die Badeplattform, die das Heck des Bootes bildet, setzt. Prompt kommt von hinten die Mahnung. »sei bloß nicht so leichtsinnig, du bist ja keine siebzig mehr.« Ich muss grinsen und sage lieber nichts dazu. Wir schippern friedlich über den Plauer See. Ab und zu will uns unser Kapitän mal was erzählen. Er hat aber wirklich wenig Aussicht auf Erfolg, denn man hat sich immer noch viel zu berichten. Also mache ich das, was ich auch im Sport mache, ich bitte lauthals um Ruhe. Das funktioniert gewöhnlich. Kurzzeitig. Warum sollte es heute anders sein.
Nach einer guten Stunde legen wir wieder an. Nun heißt es aussteigen und auf der Treppe wieder nach oben zu gelangen. Ich rufe noch schnell den Bus per Handy, verabschiede mich vom Bootsführer und eile meiner Crew hinterher. Die sind schon beim Aufstieg und ich muss sie wieder ermahnen langsam zu gehen und sich am Geländer festzuhalten. Martha will Grete helfen und ihr die Handtasche abnehmen. Die hält sie jedoch so fest, als ob es gilt, einem Handtaschenräuber Paroli zu bieten. Ich kann mich aber leider nicht darum kümmern. Ich muss Anna hinterher. Die ist heute aufgrund der Witterung etwas wacklig auf den Beinen. Das hindert sie aber nicht, die Treppe mit einer solchen Geschwindigkeit die Treppe zu erklimmen, dass mir angst und bange wird.
Als alle wieder im Bus sitzen, atme ich erleichtert auf. »Jetzt fahren wir nach Wangelin.« verkünde ich. Das war zwar vorher schon bekannt, aber trotzdem entbrennt eine heiße Diskussion. Die reicht von »habe ich noch nie gehört« über »was ist denn da« bis hin zu «Das habe ich schon gegoogelt«.
Naja, wenn ich ehrlich bin, haben meine Damen ja Recht. Als ich mit dem Busunternehmen die Strecke abgesprochen habe, da hat man mich auch entsetzt gefragt, was ich dort wolle. Da wäre ja schließlich nichts.
Doch, da ist was. Da kann man einen Garten besichtigen. Ich hatte mir gedacht, das würde ihnen eher Freude machen als ein Museum oder sowas. Ich bin gespannt ob ich richtig liege.
Der Weg dorthin führt uns durch zwei kleine Dörfer, die allgemeines Entzücken hervorrufen. Was man links und rechts der Straße sehen kann, sieht auch richtig nett und kuschlig aus. Der Anblick wird also wohlwollend kommentiert und alle sind neugierig was sie erwartet.
Am Ziel angekommen bringt uns unser freundlicher Fahrer bis genau vor das Tor. Ich bitte ihn nachzukommen. Wir wollen ihm den Eintritt und etwas zu Essen bezahlen. Schließlich hat er reichlich Geduld und Nachsicht mit uns bewiesen.
Nach dem Aussteigen fallen wir sofort ins Gartencafé ein. Obwohl wir angemeldet sind, habe ich das Gefühl, dass die Dame, die Bedienung und Rezeptionistin gleichzeitig ist, ein klein bisschen überfordert ist. Egal, da muss sie jetzt durch. Außerdem kommt zum Glück die Chefin, die uns einiges über den Wangeliner Garten erzählen will. Sie begrüßt uns und macht uns mit der Geschichte der Anlage vertraut. Dummerweise verkennt sie, dass sie es nicht mit einem Trupp engagierter Kleingärtner zu tun hat, sondern mit einer Gruppe hungriger Seniorinnen.
Diese können sich mitnichten mit der angebotenen Besichtigungstour anfreunden. »Es ist ja schon um zwölf« dieser Satz sagt eigentlich alles aus. Aber meine Damen nehmen kein Blatt vor dem Mund und sagen klipp und klar, dass sie jetzt erst essen wollen. Also verabreden wir uns für einen späteren Zeitpunkt. Nun ist die überforderte Bedienung gefragt. Diese betont immer wieder, dass das Mädchen an ihrer Seite nur die Tochter wäre, die ihr hilft. Ansonsten ist sie ja hier allein und sie tut, was sie kann.
Ich fasse mich in Geduld und beschließe alles nicht vom Standpunkt eines verwöhnten Gastes zu betrachten. Es klappt ja auch. Naja fast. Helga hat wohl am meisten Hunger und bekommt erst einmal nichts zu essen. Irgendwie hat sich das Personal verzählt.
Dafür ist der Bestellvorgang auch nicht ganz einfach gewesen. Zum Glück gab es nur drei Gerichte. Der Favorit war Soljanka.
Ich frage «Wer will Soljanka? Bitte Melden!«
Drei Arme gehen hoch.
Ich verkünde laut »Drei Soljanka«.
Es gehen noch zwei Arme nach oben. »Und Anna, die ist auf Toilette. Die will auch Soljanka« ruft man mir zu.
Also fasse ich erneut zusammen »Sechs Soljanka«.
Dann gehen noch weitere zwei Arme hoch. Jetzt sind wir bei acht. Dabei bleibt es dann aber auch.
Alles andere wird dann nicht mehr so kompliziert. Dumm ist nur, dass sich die Frauen in der Küche verzählen und Helga vergessen.
Ich habe das Gefühl, dass man uns den schwarzen Peter in die Tasche schieben will, und zähle die ausgegeben Teller. So kann ich beweisen, dass es nicht unser Fehler war und verkünde lauthals, dass wir unschuldig an der Sachlage sind. Beim Bezahlen will ich meinen Triumph dann etwas zurücknehmen und meine beschwichtigend «Das kann ja mal passieren«. Eigentlich warte ich auf eine Entschuldigung oder wenigstens sowas ähnliches.
Aber es kommt nur: »Ich bin hier alleine und das ist meine Tochter, die hilft hier nur aus.« „Gut“ denke ich, „lass es sein“ und gebe trotzdem Trinkgeld.
Inzwischen kommt die Chefin zurück und will uns den Garten zeigen. Grete, Gerda und Olga bleiben sitzen und wollen lieber Kaffee trinken. Ich kann sie verstehen, denn das Laufen fällt ihnen schwer. Mittlerweile ist es richtig heiß geworden und wir versuchen bei der Gartenbesichtigung jedes Stückchen Schatten auszunutzen. Ich hatte zwar gebeten, die Führung möglichst kurz zu halten. Jedoch das fällt unserer Begleiterin sichtlich schwer. Sie liebt ihren Garten offenkundig. Aber uns ist warm. Das wirkt sich natürlich auf die Aufmerksamkeit aus. Vor allem wenn man schon seit Stunden unterwegs ist. Nicht dass es nicht interessant wäre. Vielmehr drängen beim Anblick der verschiedenen Pflanzen etliche Erinnerungen ans Licht. Darum höre ich immer wieder solche Sätze wie
»Wir hatten damals auch solche …«.
»Das waren die Lieblingsblumen meiner Mutter…«.
Oder auch schon mal: »Dieses Kraut kenne ich überhaupt nicht«
Dummerweise wollen solche Aussagen nie allein bleiben und es schließt sich meist eine ausführliche Diskussion an. Die hindert natürlich dann beim offiziellen Zuhören. Ich gebe der Garten-Chefin heimlich einen Wink, dass wir zum Ende kommen sollen. Sie versteht es und wir machen uns auf den Rückweg. Hanna und Martha haben es sich derweil weiter hinten auf einer Bank im Schatten bequem gemacht. Sie fragen prompt nach einer Abkürzung um zu uns zu kommen. Aber die gibt es nicht. Sie müssen den verschlungenen Pfaden durch den Garten schon folgen. Fehlt mir noch, dass sie querfeldein marschieren.
Zurück im Gartencafé ist die einhellige Meinung, dass an sich erst einmal stärken muss. Während die Chefin dem Busfahrer und mir noch die Lehm-Stroh-Häuser zeigt, ordert man lauthals und fröhlich Kaffee, Kuchen und Eis.
Ich hoffe inständig, dass alle satt und zufrieden sind, als uns der, von unserem aufmerksamen Fahrer schon vorgekühlte Bus, wieder vor dem Eingang abholt. Jetzt müssen sie nur noch hinein und ab geht es nach Hause. Falls ich gedacht habe, dass die eine oder andere inzwischen müde ist, werde ich enttäuscht. Das Stimmengewirr ebbt nicht ab. Zwar dringen solche Gesprächsfetzen wie »Zu Hause hätte ich jetzt Mittagsschlaf gemacht« an mein Ohr. Aber von Schläfrigkeit ist weit und breit nichts zu sehen. Selbst Martha, der nach dem Essen fast die Augen zugefallen wären, ist putzmunter. Wir nähern uns Pritzwalk und ich höre. »Prima, wir sind genau zur Kaffeezeit zurück«. Verwundert schüttle ich den Kopf. »Ihr wollt doch jetzt nicht schon wieder…?« Aber einen Kaffee könne man doch wohl noch, schließlich sei die Zeit ran, bekomme ich zur Antwort. Ich bin beeindruckt. Das nenne ich Durchhaltevermögen.
Als sie aussteigen und sich in alle Richtungen zerstreuen schaue ich meinen Damen noch ein Weilchen hinterher. Mir kommt ein altes Volkslied in den Sinn. »Hab mein Wage voll gelade..« Ich schüttle schon wieder den Kopf. Der Dichter hatte echt keine Ahnung vom wahren Leben. Selten habe ich eine so gut gelaunte Truppe erlebt.
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