Als ich vor einigen Jahren, zum ersten Mal meiner Familie
verkündete: "Ich gehe ins Kloster", erntete ich erstaunte Blicke und
Kopfschütteln. Inzwischen haben sie sich an diesen Ausspruch gewöhnt, denn sie
bekommen ihn öfter zu hören. Er bedeutet nichts weiter, als dass ich wieder
einmal einen meiner Lieblingsorte, das Kloster Heiligengrabe bei Wittstock, aufsuche, um einen der dort angebotenen Kurse zu besuchen.
Diesmal geht es zum Kräuterkurs. Den bietet meine
Lieblingskräuterfrau Beate Hohenstein einmal im Jahr auf dem Klostergelände an.
Ich versuche sie seit geraumer Zeit zu überreden, sich bei eBay ein
"von" zu ersteigern. Beate von Hohenstein klingt doch einfach
umwerfend. Fast wie Hildegard von Bingen. Aber zurück zum Thema. Die
Veranstaltung, zu der ich unterwegs bin, nennt sich mit vollem Namen
"Wildkräuter-Wochenendseminar" und ich freue mich schon sehr darauf.
Am Freitag den 25.05.2018 reisen insgesamt elf Damen und ein
Herr in Heiligengrabe an, um gemeinsam ein Wochenende zu verbringen. Die
meisten davon, so auch die Chefin des Ganzen, stammen aus Berlin. Hier aus der
Gegend kommen nur zwei. Und ich bin die Einzige, die jeden Abend nach Hause
fährt. Das lässt sich leider aus organisatorischen Gründen nicht ändern, obwohl
ich es sehr schade finde. Die anderen Teilnehmer sind auf dem Klostergelände in
schnuckligen, kleinen Zimmern untergebracht.
Wie fast immer, bei solchen Veranstaltungen, überwiegt der
Frauenanteil. Irgendwie kann ich das nicht verstehen, weil ja die
"Großen" der Zunft, abgesehen von Hildegard, ja alles Männer sind.
Denken wir nur an Paracelsus oder an Wolf-Dieter Storl. (Ich hoffe, der
Letztere freut sich, wenn ich ihn in einem Satz mit dem Altmeister nenne.) Hin
wie her, wir haben ja wenigstens einen Mann unter uns und machen uns miteinander
bekannt.
Das fällt uns leicht, denn Beate empfängt uns mit einem toll
gedeckten Tisch und strahlendem Lächeln im Wulfenhaus, einem Gästehaus mit
Küche, das zur Klosteranlage gehört. Dabei klang sie vor einigen Stunden noch
ganz anders. Recht aufgelöst, berichtete sie mir am Telefon, dass man das Grün
auf dem gesamten Klostergelände vor einiger Zeit ordentlich gemäht hätte. Und
weil es seit diesen Tagen nicht mehr geregnet habe, sei kaum etwas
nachgewachsen. Als ich sie beruhigend auf das Gelände rund um die Teiche
hinweisen wollte, konnte sie auch nur mit Hiobsbotschaften aufwarten. Die
versandeten Teiche werden gerade renaturiert. Das ist im Prinzip eine gute
Sache. Allerdings haben die Baumaßnahmen die Vegetation im Uferbereich arg in
Mitleidenschaft gezogen. Da blieb nichts übrig, was man hätte sammeln können.
Das sind keine besonders guten Voraussetzungen für ein
Wildkräuterwochenende. Als wir uns dann etwas später gemeinsam die Lage
ansehen, war es doch nicht ganz so schlimm, wie auf den ersten Blick
befürchtet. Es fanden sich doch noch einige Ecken, an denen wir fündig werden
würden.
Nach der obligatorischen Vorstellungsrunde setzen wir uns
und genießen die Köstlichkeiten, die Beate für uns vorbereitet hat. Es gibt
jede Menge gesundes Zeugs. Das meiste davon ist selbstgemacht und natürlich
vegetarisch. Ich bin fasziniert. Die Arme muss tagelang zuvor in der Küche
gestanden haben, um alles vorzubereiten. Knäckebrot, zwei verschiedene Arten
eines Möhren-Tomaten-Aufstrichs (exotisch und mediterran), falsche Leberwurst
aus Eichelmehl, Nusshonig und weitere leckere Sachen. Ich koste von allem,
finde es total lecker und beschließe, dass ich sie überreden werde, ein
Kochbuch zu schreiben.
Während wir noch eifrig beim Essen sind und alles mit
aromatisiertem Wasser oder Tee aus frisch gesammelten Kräutern herunterspülen,
gibt es die erste Planänderung. Das Kloster hat uns zum Gottesdienst eingeladen
und bis auf den freiwilligen Spüldienst, nehmen alle daran teil. Danach werden,
wie vorgesehen, organisatorische Dinge besprochen, die Skripte mit den Rezepten
ausgeteilt und schon eilen die Kulturbegeisterten unter uns zur nächsten
Veranstaltung. In der wunderschönen Kapelle des Klosters wird ein
"Frühlingsabend mit sechs Frauengeschichten" angeboten. Ich ärgere
mich, dass ich mich nicht vorher darüber informiert habe und nicht daran
teilnehmen kann. "Da berühren sich Himmel und Erde - Biblische Erzählungen
und Musik" klingt echt spannend. Aber so ist das Leben. Man kann nicht auf
allen Hochzeiten tanzen.
Am Samstag den 26.05.2018 trudle ich als letzte in der Küche
des Wulfenhauses ein. Die anderen Teilnehmer begrüßen den Tag schon mit warmen
Ingwerwasser und angeregten Gesprächen. Obwohl es erst 7:30 Uhr ist, wundere
ich mich nicht darüber. Schließlich kenne ich die heilsame Wirkung, die dieses
Kloster auf die Menschen hat, die es aufsuchen. Auf meine Nachfrage bestätigen
auch alle, dass sie wunderbar geschlafen haben. Und so ergibt ein Wort das
andere. Wir erzählen, tauschen uns aus und kommen gar nicht so richtig
"aus dem Knick", wie man das so nennt. Dabei wollen wir doch laut
Plan erst eine Runde Qigong zum Morgen machen, dann Kräuter fürs Frühstück
sammeln und diese auch noch vor der ersten Tagesmahlzeit verarbeiten. Aber
Entspannung geht vor, sagen wir uns. Als wir endlich losschlendern hat es
niemand besonders eilig. Das ist mir Recht, denn ich werde das Qigong anleiten
und da ist Hektik nicht von Nutzen.
Wir üben barfuß, unter einem Kirschbaum auf
der Wiese zwischen Hauptgebäude und Kräutergarten. Dabei wundern wir uns, dass
sich die Kirschen schon rot färben. In diesem Jahr ist alles recht zeitig und
die Sonne versucht ihr Bestes, um einen sommerlichen Eindruck zu machen. Nach
einer halben Stunde sind wir noch entspannter, nehmen wir unsere Sammelkörbe und
bummeln los. Der erste Weg führt uns zu dem von einer Hainbuchenhecke
umschlossenen Kräutergarten.
Es dauert eine ganze Weile, bis Beate all unser
Fragen zu den einzelnen Pflanzen beantwortet hat. Die Zeit verrinnt und wir
sollten doch langsam mit dem Sammeln beginnen, mahnt die Chefin. Schließlich
knurrt der eine oder andere Magen schon bedenklich. Wider Erwarten sind die
Körbe schnell gefüllt. So schlimm, wie es auf dem ersten Blick schien, ist die
Sache mit dem Mähen doch nicht gewesen. Es gibt noch genug für uns zu pflücken.
Im Wulfenhaus zurück, verteilen wir die Arbeiten. Kräuter
waschen, Obstsalat aus mitgebrachten Früchten machen, Tee kochen, süßen Quark
anrühren, Tischdecken. Für jeden findet sich eine Aufgabe. Mir fällt das
Kaffeekochen zu. Als geborener Sachse bin ich da natürlich in meinem Element,
glaube ich zumindest. Aber dieser Kaffee wird anders. Er bekommt als Zugabe
Kardamom und Ingwer. Dann gibt es noch einen Löffel Dinkelkaffe und eine Prise
Kaffeegewürz. Die Reaktionen auf die ersten Schlucke sind gespalten. Doch nach
und nach überwiegt die Zustimmung. Da bin ich aber froh. Über das tolle
Budwig-Müsli und Beates Brotaufstriche sind sich dagegen alle einig. Lecker,
klasse und "ist das Rezept dafür auch in unserem Skript?", lauten die
Kommentare. Wenn eine Frühstückszutat darin nicht aufgeführt ist, dann wird
einstimmig gefordert, dass wir wissen wollen, was und wie es hergestellt wird.
Nebenbei haben wir auch noch eine schwierige Aufgabe zu bewältigen. Wir sollen
uns entscheiden, was wir während des Kurses selber fertigen wollen. Am liebsten
würden natürlich alle auch alles machen, aber dazu reicht die Zeit nicht.
Schweren Herzens müssen wir Abstriche machen. Auf alle Fälle wollen wir ein
Massageöl, Gelenksalbe, ein Körperpeeling und natürlich auch Kräutersalz mit
nach Hause nehmen.
Weil das späte Frühstück so lecker ist und wir zudem so
viele Fragen an Beate haben, ziehen wir erst am sehr vorgeschrittenen Vormittag
los, um die Kräuter für unser Mittagessen und die diversen Vorhaben zu sammeln.
Es soll Spinat aus Brennnesseln und Giersch geben. Wir verlassen das
Klostergelände und schlendern ein Stück auf dem Annenpfad, der das Kloster
Heiligengrabe mit den Kirchen in Bölzke und Alt Krüssow verbindet, entlang.
Natürlich wachsen am Wegesrand diverse Kräuter und Beate muss tausend Fragen
nach Namen und Verwendung beantworten. Das tut sie mit einer Engelsgeduld und
einem immensen Wissen. Es ist total interessant, aber wirklich vorwärts, kommen
wir auf diese Art nicht. Als wir uns dann im Wald über die Erfahrungen beim
Waschen mit Efeu austauschen, tut mir unser einziges männliches Teammitglied
doch schon etwas leid. Ich glaube nicht, dass ihm dieses Thema liegt. Außerdem
ist es weit über Mittag und wir haben immer noch nicht besonders viel in unseren
Körbchen. Irgendwann sehen wir das ein, und beginnen endlich mit dem Sammeln.
Bei so vielen Händen kommt die erforderliche Menge schnell zusammen und wir
wandern frohgemut zurück.
Der Zeitplan ist uns inzwischen völlig egal, denn niemand
will sich unter Druck setzen. Wir beginnen mit den Vorbereitungen für die
Eigenkreationen und das Mittagessen, das wohl eher ein Brunch werden wird. Wie
vorher werden die Aufgaben ohne Zeigefinger aufgeteilt und alle suchen sich
eine nützliche Beschäftigung. Am großen Küchentisch zupfen wir dann tapfer die
Blätter von den Brennnesseln. Den Giersch vorzubereiten ist längst nicht so
schmerzhaft. Aber was soll es, auch diese Arbeit ist irgendwann getan, auch
wenn kurz vor Schluss noch ein weiterer Korb mit Nesseln auftaucht. Kartoffeln
schälen, Rührei machen, den Sud für die Salbe vorbereiten, die Kräuter für das
Salz zubereiten – wir sind alle stark beschäftigt. Trotzdem findet man auch
Zeit, die von Beate mitgebrachte Literatur durchzublättern, sich Notizen zu
machen und Erfahrungen auszutauschen. Unsere Gruppe ist bunt gemischt. Einige
sind Neueinsteiger auf dem Kräutergebiet, andere haben schon Erfahrungen damit.
Ich finde es immer wieder faszinierend, wie sich Menschen, die sich nicht
kennen, durch ihre gemeinsamen Interessen schnell zueinanderfinden.
Aus unserem Mittag ist tatsächlich ein Brunch geworden. Der
Brennnessel-Giersch-Spinat ist nicht jedermanns Sache, aber man kann ihn essen,
finden wir. Alles andere ist wie immer total lecker. Satt und zufrieden sitzen
wir um den großen Tisch und beschließen, den Zeitplan endgültig zu den Akten zu
legen. Stattdessen bereiten wir weiter unsere Mischungen vor. Das Rohmaterial
für das Kräutersalz trocknet im Dörrapperat. Abgewaschen muss auch noch werden,
denn es gibt keinen Geschirrspülautomat. Bei zwölf Personen kommt einiges
zusammen. Und da sind noch nicht einmal die Sachen mitgerechnet, die wir zum
Zubereiten unserer Rezepte brauchen. Trotzdem geht alles reibungslos und
gelassen über die Bühne. Nach getaner Arbeit hängen wir die Trockentücher in
den Dornbusch an der Hausmauer und freuen uns über den Anblick, als hätten
wir ein Kunstwerk geschaffen.
Wer mag, zieht noch einmal mit dem Körbchen los und besorgt
dieses und jenes. Das Abendessen lassen wir einstimmig ausfallen, alle sind
noch satt. In der Küche wird gewerkelt. Schneiden, Mixen, Rühren, im
Wasserdampf erhitzen. Es riecht nach unzähligen Duftölen, mit denen wir unsere
Werke verfeinern wollen. Und es sieht ein bisschen aus wie beim Zauberlehrling.
Überall stehen Büchsen, Gläser, Tüten mit geheimnisvollem Inhalt herum. Und
dann sind da noch Kräuter über Kräuter.
Manchmal wuseln wir alle durcheinander
und stellen gleichzeitig unsere Fragen. Beate behält die Übersicht. Sie
erklärt, zeigt und behält die Geduld. Die Zeit vergeht, und nach und nach
werden wir müde, unser Arbeitseifer erlahmt. Schlussendlich sitzen alle am
Tisch und blättern in ihren Aufzeichnungen. Ich mache mich müde auf den Heimweg
und werfe zuvor noch einen Blick in die Runde. Ich glaube nicht, dass hier noch
eine Party stattfinden wird. Alle sehen ziemlich geschafft aus.
Am Sonntag den 27.05.2018 bin ich nicht die Letzte, die sich
am frühen Morgen, diesmal schon um sieben, in der Küche einfindet. Bei einer
Tasse Ingwerwasser erfahre ich, dass am vergangenen Abend tatsächlich keine
großen Sprünge mehr gemacht wurden. Aber ein Märchen gab es noch. Beate hat es
vorgelesen. Ich ziehe einen Flunsch. Schade, da habe ich wieder was verpasst.
Weil heute schon der letzte Tag ist, können wir nicht so bummeln, wie gestern,
und ziehen zum Qigong los. Auf unserem Platz unter dem Kirschbaum beginnen wir
den Tag wieder mit einigen Übungen. Danach teilen wir uns auf. Einige machen
sich auf den Weg zum Kräutersammeln. Andere gehen gleich zum Wulfenhaus, um das
Frühstück vorzubereiten. Ich melde mich wieder zum Kaffeekochen. Nachdem er
gestern doch noch recht gut angekommen war, freue ich mich schon auf die erste
Tasse dieses Wundergetränks.
Die Sammeltruppe kommt bald zurück und wir alle wuseln durch
die Küche, um das Frühstück aufzutischen. Bei vierundzwanzig Händen geht das
ziemlich schnell. Bald sitzen wir wieder am Tisch. Es ist lecker wie am Vortag.
In unsere muntere Plauderei schleicht sich ab und zu ein bisschen Wehmut ein.
Das Ende des Kurses ist leider schon in Sicht. Aber es bleibt keine Zeit,
darüber zu jammern, denn die Arbeit ruft. Wir wollen unsere Produkte
fertigstellen, das Mittagessen vorbereiten und so ganz nebenbei müssen die
Sachen gepackt werden, denn die Heimreise steht an.
Unsere Küche verwandelt sich wieder in ein Laboratorium, das
auch in Hogwards sein könnte. Wäre der Tisch nicht so stabil, würde er sich
unter den Gläsern und Flaschen biegen. Nach und nach werden die letzten
Vorhaben abgearbeitet. Alle beschriften stolz ihre Gefäße. Wir haben an diesem
Wochenende nicht nur viel gelernt, sondern danach auch eine Menge vorzuzeigen.
Gleichzeitig laufen die Vorbereitungen zum Mittagessen. Heute gibt es
Kartoffeln mit Kräuterquark. Der schmeckt diesmal allen richtig gut.
Als die Teller leer sind, gibt es noch ein Märchen. Es ist
ein bisschen traurig und passt daher gut zu unserer Stimmung. Bei der
anschließenden Feedbackrunde kommt natürlich von etlichen Seiten die
Zu-kurz-Bemerkung. Aber sonst sind alle zufrieden. Die Mischung aus Neulingen
und alten Hasen passte. Selbst unser einziger Mann sagt, dass er sich in der
schnatternden Frauenrunde wohl gefühlt hat. Wir tauschen Adressen und
Telefonnummern, denn die Ersten müssen schon los. Wer noch geblieben ist, räumt
auf und packt zusammen. Ich bestehe währenddessen auf einem
Abschiedsschmankerl. Das gab es im letzten Jahr auch, ist mein Argument. Ich
liebe die Datteln, die mit Mandelmus gefüllt und einer Walnuss garniert werden.
Das Anrichten dieser Leckerei wird unsere letzte gemeinsame Aktion. Na ja, nicht
ganz. Wir setzen uns noch einmal an den Tisch und genießen den Naschkram. Dann
verabschieden sich die Nächsten. Das Haus leert sich nach und nach. Beate packt
nun auch ihre gefühlt tausend Utensilien zusammen. Damit beladen wir ihr Auto.
Eine letzte Umarmung, dann mache ich mich auf den Heimweg. Ich seufze ein
bisschen, weil es schon vorbei ist, und freue mich doch schon auf das nächste
Mal.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen