Von Messern, Stöcken und (gar nicht so)
zarten Fäusten
Mein Trainingstagebuch der 5.
Frauenkampfkunstwoche 2018 beim Reit- und Erlebnishof Preddöhl
Die Kampfkunst ist zum Glück schon lange
keine Männerdomäne mehr. Es gibt viele Frauen die Spaß und Freude daran haben.
Inzwischen können alle, die Lust darauf haben, die unterschiedlichsten Stile
der Kampftechniken erlernen. Die unterscheiden sich in einigen Aspekten relativ
stark und haben doch viele Gemeinsamkeiten.
Eine perfekte Möglichkeit mal über den Tellerrand der eigenen
Trainingseinheiten hinauszuschauen, ist die Frauenkampfkunstwoche in Preddöhl.
In diesem Jahr trafen sich zum 5. Mal mehr als 50 Teilnehmerinnen um
miteinander zu trainieren und voneinander zu lernen. Sie waren aus ganz Deutschland
und halb Europa angereist. Den weitesten Weg hatte wohl die Aikido-Trainerin,
die aus Finnland kam. Für eine Woche fand sich in der Prignitz eine bunt
gemischte Truppe von Frauen und Mädchen zusammen, die in Kampfstil, Größe,
Alter und Erfahrungen eine ziemliche Bandbreite abdeckten. Und ich war eine von
ihnen. (Verhältnismäßig klein, nicht mehr jung und mit Erfahrungen im Shuri Ryu
Karate, die sich als nicht besonders fortgeschritten bezeichnen lassen, wie man
an meinem grünen Gürtel erkennen kann.)
Sonntag, 22.07.2018
Der Sonntagabend beginnt mit der
obligatorischen Begrüßungsrunde im Dojo des Reit- und Erlebnishofes Preddöhl.
Ich blicke im Kreis herum und entdecke einige bekannte Gesichter. Unter ihnen
und auch bei den unbekannten Frauen überwiegen die Braun- und Schwarzgurte. Das
heißt, dass fast alle Anwesenden mehr Erfahrungen in der Kampfkunst haben.
Bevor ich mir darüber Gedanken machen kann, beginnt der offizielle Teil mit den
allgemeinen Mitteilungen. Da ist viel Organisatorisches für die Übernachtungsgäste
darunter. Die wichtigste Information lautet: Nach dem Abendessen treffen wir
uns in der Turnhalle von Gerdshagen zum Begrüßungstraining
Als Trainerinnen werden in dieser Woche
vier ganz unterschiedliche Frauen agieren. Sie vertreten dabei recht
verschiedene Stile.
Für die Richtung Shuri-Ryu Karate ist
Lydia verantwortlich. Sie ist meine Sensei, bei der ich hier in Pritzwalk
trainiere, und wird uns hauptsächlich im Stockkampf unterrichten. Der ist Teil
unserer Karateform. Außerdem fungiert sie gleichzeitig als Mitglied des
Organisationskomitees.
Li aus Bonn ist Meisterin im Kungfu To'A.
das ist ein iranischer Kungfu-Stil, der sich durch vielseitige Tritte und
Trittkombinationen auszeichnet.
Jenny aus Finnland soll uns Aikikai
Aikido nahe bringen und lässt uns an dem Wissen teilhaben, das sie in Japan
erworben hat.
Birgit schwärmt für Kickboxen und
Selbstverteidigung. Als ehemalige Teamcoach für das Wado Ryu Karate
Nationalteam der Frauen bringt sie uns den Freikampf nah.
In der Turnhalle Gerdshagen angekommen
stellen wir uns gegenseitig kurz vor und erzählen welchen Stil wir erlernen.
Ich bin erstaunt und überrascht, welche bunte Mischung hier doch angetreten
ist. Von manchen Richtungen habe ich vorher noch nicht einmal den Namen gehört.
Lydia beginnt das Training mit einigen
mir bekannten Übungen aus unserem Stil. So habe ich gleich zum Einstieg ein
Erfolgserlebnis. Allerdings denke ich
mir schon, dass das nicht so bleiben wird. In dieser Überzeugung werde ich noch
bestärkt, als wir dann eine Art Spiel spielen, in dem es um das eigene Alter
ging. In zwei Gruppen sollen wir uns nach dem Alter sortieren. Die Jungen
stehen vorn und mit zunehmender Lebenserfahrung ordnet man sich weiter nach
hinten ein. Ich bin froh, dass ich nicht ganz als Letzte in unserer Reihe
stehe.
Es gab aber keine Muße, um darüber
nachzudenken, denn anschließend übernimmt Birgit das Zepter. Sie lässt uns
Schläge und Sprünge in Vorbereitung auf den Freikampf ausführen, die uns
schnell in Schwitzen bringen. Da kann ihr lautes RELAX noch so durch die Halle
donnern, ich bin in kürzester Zeit schweißgebadet.
Ich hoffe einen Moment, dass es bei Li
weniger anstrengend sein wird, werde aber sofort vom Gegenteil überzeugt.
Dehnungsübungen und Sprünge schaffen es, dass meine Hose am Körper zu kleben
beginnt. Das ist nicht besonders hilfreich, wenn man versucht, seine Beine so
hoch wie möglich zu schwingen. Während Li beim Kungfu den Eindruck mache, als
ob sie schwebe, komme ich mir eher wie ein Tanzbär vor.
Bei Jenny wird es nur scheinbar ruhiger,
denn hier ist zusätzlich noch der Kopf gefragt. Aikido sieht nur auf den ersten
Blick gelassen aus. Schritte, Drehungen und dazu noch Haltung mit
Körperspannung bringen mich fast bis an meine Grenzen. Ehrlich gesagt, bin ich
heilfroh, als das ganze Training vorbei ist. Worauf habe ich mich da nur wieder
mal eingelassen?
Montag, 23.07. 2018
Die Sonne heizt schon am frühen Morgen
gut ein. Zum Glück ist die Turnhalle in Gerdshagen ein Überbleibsel aus
DDR-Zeiten. Obwohl sie keine Klimaanlage hat, ist es noch relativ kühl darin.
Zumindest wenn man das mit den Temperaturen außerhalb der Halle vergleicht. Ich
bewundere die Frauen, die den Weg von Preddöhl per Fahrrad auf sich nehmen. Da
wäre ich schon bei der Ankunft das erste Mal fix und fertig.
Es bleibt nicht viel Zeit zum Rumwundern,
denn Lydia beginnt pünktlich mit dem Training. Schon beim Aufwärmen kommen die
Arnis-Stöcke zum Einsatz. Ich fühle mich noch ganz gut, denn diese Sachen sind
mir ja bekannt. Natürlich steigern sich die Anforderungen und als wir uns als
Gruppe in Anfänger und Fortgeschrittene teilen sollen. Gehe ich lieber zu den
Neulingen. Ein bisschen neidisch schaue ich zu meinen Dojo-Kolleginnen, aber
ich kenne meine Schwachstellen und lasse die Experten lieber unter sich. Ich
habe auch in dieser Gruppe genug zu tun, um die gestellten Aufgaben zu
bewältigen. Ab und zu kann ich mal nach rechts und links einen Ratschlag geben.
Das schmeichelt meinem Ego.
Nach einer kurzen Pause ist Li an der
Reihe. Nach ihrer Erwärmung wissen wir endgültig, was Schwitzen ist. Nicht,
dass wir in uns der vorigen Runde ausgeruht hätten, aber da war eher der Kopf
gefordert. Jetzt ist Kondition gefordert. Beine hoch und runter, eine
ausgiebige Dehnungseinheit die an Yoga erinnert – und schon bin ich klatschnass
geschwitzt. Die Kommandos werden teilweise in Deutsch und manchmal auch in
Englisch gegeben. Dann geht es paarweise weiter und ich erwische zum Glück
jemanden aus meinem Pritzwalker Kurs. Da kann ich notfalls etwas Rücksicht
einfordern, denn meine Partnerin kennt mich und weiß, dass sie das Schlagkissen
nicht zu hoch halten braucht. Immerhin bekomme ich einen einigermaßen
anständigen Mawashi oder Roundhouse-Kick, wie er bei Li heißt, hin. Dann sollen
wir zusätzlich springen und uns drehen. Und alles in Kombination. Kick, Sprung,
Kick, Drehung, Kick. Oder anders herum? Ich bin leicht überfordert. Mir läuft
das Wasser am Körper herunter. Die Hose klebt wieder an den Beinen und mir wird
langsam klar, warum man Kickboxen in kurzen Hosen macht. Als ich mich umblicke,
um zu verschnaufen, stelle ich fest, dass es etlichen anderen auch nicht besser
geht. Einige steigen sogar schon aus. Ich halte gerade so bei der Stange und
bin heilfroh, als es ans Dehnen geht.
Nach der Mittagspause übernimmt Jenny mit
Aikido das Kommando. Allerdings erfolgen alle Anleitungen auf Englisch. Auch
hier erinnert die Erwärmung stark an Yoga. Zwischendurch gibt es noch etwas,
was an Tanzschritte erinnert. Es sieht elegant und mühelos aus, aber irgendwie
will es mir nicht so recht gelingen alles nachzumachen. Die Ausführung der
scheinbar leichten Bewegungen ist kompliziert. Irgendwie bin ich mit rechts und
links überfordert. Liegt es am Wetter, daran, dass es die dritte Einheit am
heutigen Tag ist oder bin ich einfach zu blöd? Wieder einmal schiele ich zu den
anderen Mitstreiterinnen. Manch einer geht es ähnlich wie mir. Das tröstet
mich. Und so freue ich mich an der Eleganz von Jennys Bewegungen während ihrer
Erklärungen. Es sieht so spielerisch leicht aus, was sie macht. Ich habe nicht
allein diesen Eindruck, denn ein bewunderndes Raunen geht durch die Halle, als
sie eine unerwartete Drehung mit einem perfekten Block kombiniert.
Die Übungseinheit vier verspricht
Freikampf. Ich fühle mich total erschöpft und möchte am liebsten schwänzen.
Aber dann packt mich der Ehrgeiz und ich bleibe. Weil es schon spät ist und wir
alle im wahrsten Sinne des Wortes etwas abgekämpft aussehen, nimmt Trainerin
Birgit auf uns Rücksicht. Sie meint wir würden es etwas langsam angehen. Und
schon dröhnt ihr RELAX durch die Halle. Eins, zwei und drei zu zählen, sollte
eigentlich kein Problem sein. Doch auch das stellt sich als kompliziert heraus.
Eins vor und eins zurück ist noch logisch. Zwei vor und eins zurück wird schon
schwerer. Drei vor und eins zurück erweist sich schon ohne Technik als
kompliziert. Als ich es mit einem Fauststoß kombinieren soll, habe ich das
Gefühl, dass ich nicht mehr bis drei zählen kann. Köper und Geist geraten an
ihre Grenzen und ich bin wieder klatschnass geschwitzt. Was für eine Erholung
ist da sie gegenseitige Schüttelmassage, die den Abschluss bildet.
Dienstag, 24.07.2018
Ich habe an diesem Morgen das Qigong
angeleitet und komme daher total entspannt in der Halle an. Jenny beginnt das
Aikido mit ihrer genialen Erwärmung. Diesmal wird auch die Stimme eingesetzt
und die ganze Halle vibriert von unseren Schreien. Dann geht es weiter mit
Rechts-Links-Übungen. Die morgendliche Entspannung weicht und es klappt leider
nicht viel besser als am Vortag. Jenny hat Geduld und erklärt immer wieder, was
wir machen sollen. Ich übe beharrlich und tatsächlich funktioniert es ab und
zu.
Nach der Pause steht Freikampf auf dem
Programm. Schon die Erwärmung ist schweißtreibend. Die Temperaturen außerhalb
der Halle sind wieder auf 30 Grad geklettert. Innen ist es vielleicht etwas
kühler, aber nach kurzer Zeit klebt mir schon wieder die Hose an den Beinen.
Partnerübungen werden angesagt. Natürlich wird auch rechts und links wieder
gefordert. Ständig neue Partnerinnen sollen uns an wechselnde Situationen
gewöhnen. Ich sehe ja den Sinn dahinter ein, gerate aber mehrmals an
Schwarzgurte der verschiedenen Stile. Da denke ich so bei mir, dass die sich
freuen werden, wenn ich mehr Angst als Kampfgeist zeige. Aber alle beweisen
erstaunlich viel Geduld. Und so lerne ich einige Sachen, von denen ich hoffe,
dass ich sie auch behalte. Schau an, der ungeliebte Freikampf kann sogar Spaß
machen. Trotzdem bin ich froh, als die Mittagspause heran ist.
Lydia übernimmt das Kommando nach dem
Mittag. Doch zuerst wollen wir ein Erinnerungsfoto machen. Das hört sich
leichter an, als es getan ist. Wegen der Sache mit dem Datenschutz muss man auf
Nummer sicher gehen, dass auch alle einverstanden sind, um die Bilder
veröffentlichen zu können. Als dann endlich klar ist, dass alle die Erklärung
unterschrieben haben, stellen wir uns zur Fotosession auf. Danach beginnt aber
das Training. Heute stehen keine Stöcke auf dem Programm, sondern Teile aus
einer Katta. Das ist eine vorgeschriebene Abfolge von Bewegungen, die wir je
nach Gurtfarbe erlernen. Über die Wunshu bin ich ja eigentlich hinaus. Das
bedeutet aber auch, dass ich sie lange nicht gemacht habe. Genau wie bei allem
anderen ist es auch bei einer Katta so, dass wenn man sie nicht übt, sie
langsam in Vergessenheit gerät. Als Lydia auffordert, dass sich diejenigen, die
sie kennen, sich melden, zögere ich und hebe nur ganz vorsichtig meinen Arm.
Erst als ihr auffordernder Blick mich streift, recke ich ihn nach oben. Wir
bekommen eine Partnerin, aus einem anderen Stil und sollen mit ihr üben.
Allerdings ist das Ganze als Zweierübung ausgelegt. Darauf bin ich gar nicht
eingerichtet und somit reichlich verwirrt. Zum Glück stehen die Frauen aus
meinem Dojo in der Nähe. Kurz entschlossen bauen wir uns nebeneinander auf und
versuchen unser Bestes. Es ist nicht einfach. Einerseits muss ich schauen, was
meine Mitstreiterinnen machen und anderseits habe ich ja noch die Partnerin aus
dem anderen Stil, mit der ich arbeiten soll. Manchmal scheitert es schon an den
Kleinigkeiten. Allein die Stände heißen unterschiedlich. Das gilt auch für die
Tritte und die Blöcke. Trotzdem finden wir zueinander und üben beständig. Dabei
geht die Zeit schnell vorbei. Zum Abschluss sollen drei unserer Berliner
Braungurte die ganze Katta vorzeigen. Meine Übungspartnerin zeigt sich
beeindruckt.
Nach einer kleinen Stärkung mit Kaffee
und Keksen hat Li wieder das Sagen. Sie jagt uns durch die Halle, dass der
Schweiß in Strömen fließt. Dann fragt sie auch noch, ob wir schon warm sind.
Ein kollektives Schnaufen bestätigt das. Also gehen wir zum Dehnen über.
Dehnen, dehnen und nochmals dehnen. Dann kommen Tritte an die Reihe. Einige der
Namen sind mir bekannt, andere nicht. Zumindest weiß ich, was von mir erwartet
wird, auch wenn ich es nicht immer so hinbekomme, wie ich es gern hätte. Wir
bilden Dreiergruppen und machen Stand- und Stabilisationsübungen. Dann gehen
wir zu Partnerübungen mit Schlagkissen über. Es werden Tritte mit Sprung und
mit Drehung geübt. Meine Partnerin bringt mich schon mal ganz schön aus dem
Gleichgewicht. Aber ich kenne sie und ihre Art, daher kann ich damit umgehen
und bin nicht sauer. Dafür genieße ich die abschließende Shihatsu-Massage auf
der Wiese doppelt.
Mittwoch, 25.07.2018
Es geht los mit Freikampf. Trainerin
Birgit lässt ihr unnachahmliches RELAX durch die Halle schallen. Manchmal hängt
sie aus Übermut noch eine Schlagkombination mit einem kräftigen BUH hintendran.
Wir sind begeistert über so viel Power. Zu Beginn gibt es eine wilde Erwärmung
mit Drehungen und Tritten. Dann sollen wir das Bein auf die Schulter einer
Partnerin legen. Das hört sich schlimmer an, als es ist, denn ich finde mich
schon nach drei Tagen erstaunlich beweglich. Außerdem gehen wir relativ
vorsichtig miteinander um. Keine will unbedingt beweisen, dass sie mehr drauf
hat, als die Mitstreiterinnen. Das ist einer der Gründe, warum ich am liebsten
mit Frauen trainiere. Allerdings bin ich der Frau, der ich bei dieser Übung
gegenüberstehe, wohl doch zu klein. Wir wechseln zu Jenny, die bisher jedes
Training der Kolleginnen mitgemacht hat. Sie ist viel größer als ich und hat
ebenfalls eine kleinere Partnerin. Um den Tausch zu begründen, sage ich, dass
ich "to small" bin. Sie schaut auf mich herunter und grinst:
"You are perfect." Na das ist mal eine Ansage! Ich glaube, ich bekomme
mein Bein gleich zehn Zentimeter höher als sonst. Dann geht es ans Eingemachte.
Wir üben die Sequenz von gestern und erweitern sie um einige Nuancen. Hatte ich
erwähnt, dass ich Freikampf nicht mag? Jedenfalls habe ich so viel Spaß, dass
ich manchmal lachend durch die Halle hüpfe. Das liegt unter anderem auch daran,
dass ich mich über mich selbst amüsiere. Es ist schon erstaunlich, wie oft man
rechts und links verwechseln kann, auch wenn man jeweils nur zwei Arme und
Beine hat. Eigentlich war hüpfen bei mir in der letzten Zeit nicht so sehr
angesagt. Jetzt macht es mir nichts mehr aus. Schon nach zwei Tagen intensiven
Trainings scheint mein Körper dehnbarer und auch irgendwie kräftiger.
Erstaunlich. Schade, dass an diesem Nachmittag kein Training ist. Mir wird
direkt was fehlen.
Nach der Pause steht aber erst einmal
Aikido an. Ohne Frage bringt uns Jenny sofort wieder zum Schwitzen. Vor allem
die Dehnung hat es in sich. Doch während ich die Zähne zusammen beiße, denke
ich, dass man solche Übungen viel öfter machen sollte. Leider kenne ich meinen
inneren Schweinehund und so wird daraus sicher nichts werden. Beim Üben bauen
wir auf das schon Gelernte auf. In ihrer unnachahmlichen Art erklärt Jenny uns,
was sie von uns erwartet. Das Ganze ist auf Englisch, aber meine
Sprachkenntnisse reichen. Ich glaube, auch wenn man kein Wort verstehen würde,
begreift man, worum es geht. Irgendwann kommen dann Würfe an die Reihe. Während
ich zuerst noch denke, dass ich mich davor dann doch drücken werde, kullere ich
kurze Zeit später über den Hallenboden. Erstaunlicherweise habe ich auch
hierbei Spaß. Die ganze Trainingseinheit endet mit einer Sequenz Dehnung, die
es in sich hat. Bei einer rechts seltsamen Pose fragt Jenny, wie man diese denn
nennen könne. Alle sind sich einig und stöhnen gemeinsam FROG. Trotzdem grinsen
wir.
Der Nachmittag ist, wie schon erwähnt
frei. Man kann Baden, Reiten, Relaxen. Jede mag das tun, was ihr gefällt. Auch
mal schön.
Donnerstag, 26.07.2018
Das erste Training übernimmt Li. Das
heißt: Tritte, Tritte, Tritte. Aber was ist nur los mit mir? Gestern habe ich
mich noch gefühlt, als könnte ich Bäume ausreißen. Und heute? Anstatt zu
hüpfen, schlurfe ich über den Boden und bin schon nach wenigen Minuten
schweißnass, ohne wirklich viel getan zu haben. Natürlich ist es draußen
unheimlich warm. Aber das kann es nicht allein sein. War die Pause am gestrigen
Nachmittag kontraproduktiv? Während ich noch darüber nachdenke, wechseln wir
zur Dehnung. Was für ein Glück. Es zwickt und zwackt zwar überall, aber wenigstens
habe ich nicht mehr das Gefühl ein nasser Waschlappen zu sein. Dann beginnen
die Partnerübungen und ich vergesse meine Befindlichkeiten und konzentriere
mich auf die Aufgaben. Wieder einmal bin ich erstaunt, wie hoch ich meine
Beinchen doch schmeißen kann. Mein Körper scheint sich besonnen zu haben.
Das Gehirn hängt allerdings immer noch im
Ruhemodus. Das merke ich peinlich berührt, als wir in der nächsten Runde mit
Lydia Stockkampf trainieren. Eigentlich sollten mir die Grundlagen aus unserem
Stil bekannt sein. Aber ich verwechsle die einfachsten Sachen und verstecke
mich wieder in der Gruppe der Anfängerinnen. Etwas traurig schaue ich zu meinen
Mitstreiterinnen bei den Fortgeschrittenen, die sich souverän auf diesem
Terrain bewegen. Aber ich halte durch und bin etwas getröstet, als ich in der
Mittagspause höre, dass auch andere Frauen Schwierigkeiten mit rechts, links,
oben, unten und dem ständigen Seitenwechsel haben. Was für ein Glück! Ich bin
nicht allein mit meinen Problemen.
Nach dem Mittag steht Freikampf auf dem
Plan. Birgit erheitert uns bei der schweißtreibenden Erwärmung mit ihren
unnachahmlichen RELAX-Rufen. Wir grinsen, aber das Wasser läuft uns schon nach
den ersten Minuten in Strömen am Körper herunter. Es wird noch schlimmer, als es
dann richtig zur Sache geht. Wir haben uns in Vierergruppen zusammengefunden.
Davon soll sich jetzt jeweils ein Paar gegenüber stehen, um sich einen Fight zu
liefern. Die anderen Beiden fungieren als Coach. Meine Gruppe nimmt das Ganze,
wie angesagt, ziemlich relaxt und so habe ich Spaß. Allerdings ist es
unheimlich warm. Alle sind klatschnass. Selbst als ich dann als Coach antrete,
spüre ich wie mir die Schweißtropfen über Gesicht und Rücken rinnen. Da kommt
mir die Pause dann mehr als nur recht.
Eine Viertelstunde ist nicht lang. Und
abgekühlt hat es sich nicht. Wie denn, wenn es draußen Hochsommer ist? Trotzdem
geht es weiter. Aikido-Trainerin Jenny erklärt uns nach der obligatorischen
Sequenz aus Erwärmung und Dehnung die heutige Aufgabe. Sie lautet: Abwehr eines
Messerangriffs. Das klingt dramatisch, ist es aber nicht, denn es handelt sich
um einen vorgeschriebenen Ablauf. Außerdem sind unsere Übungsmesser aus Holz.
Die Verletzungsgefahr ist also ziemlich gering. Allerdings bedeutet
"vorgeschriebener Ablauf", dass der Kopf einen nicht geringen Anteil
am Erfolg der Übung hat. Bei mir dauert es wieder einmal eine ganze Weile, bis
die Füße dort stehen, wo sie auch stehen sollen. Zwischendrin zeigt uns Jenny
immer wieder, wie man mit wenig Kraft und flinken Drehungen seinen Gegner zu
Fall bringen kann. Was sie so elegant vorführt, fällt den Meisten von uns nicht
ganz so leicht. Trotzdem liegen die ersten schnell auf dem Boden. Natürlich
heißt es auch hier, dass die Übung den Meister macht. Zwischendurch werden wir
immer wieder zusammen gerufen und auf mögliche Haltungsfehler aufmerksam
gemacht. Die Art in der uns Jenny das erklärt ist unnachahmlich. An ihr ist
glatt ein Pantomime verloren gegangen. Und
so haben wir trotz aller Anstrengungen noch jede Menge zu Lachen.
Freitag, 27.07.2018
Nun beginnt der letzte Trainingstag. Wie
schnell ging das denn? Uns bleibt aber keine Zeit, um Wehmut aufkommen zu
lassen. Heute werden alle Trainings kürzer und intensiver. Wir beginnen unter
Lydias Anleitung mit dem Stockkampf. Ich komme mit meiner holländischen
Partnerin gut zurecht und bin ganz stolz auf meine Fertigkeiten. Endlich
beherrsche ich die richtige Abfolge. Was für ein tolles Gefühl.
Uns bleiben fünf Minuten Pause um uns zu
dehnen und Li übernimmt das Zepter. Heute sollen wir alle drei Tritte aus den
vorangegangenen Tagen zu einer Sequenz zusammenfügen. Meine Partnerin bei
dieser Übung leitet in ihrem Stil schon seit Jahren erfolgreich eine eigene
Übungsgruppe. Das kann ja nur peinlich werden, befürchte ich. Aber es klappt
erstaunlich gut mit uns beiden. Ich mache mir keine Illusionen. Es liegt
garantiert nicht an mir, sondern an meiner geduldigen Trainingspartnerin. Von
ihr bekomme ich hilfreiche Hinweise und schaffe sogar einige gesprungene
Tritte, die nicht ganz so murklig aussehen wie am Vortag.
Nach einer kurzen Rast tönt Birgits RELAX
wieder durch die Halle. Wir streifen die Schützer über und beginnen mit dem
Freikampf. Mal greift die eine an, mal die andere. Partnerinnenwechsel. Weiter.
Wechsel. Weiter. Der Schweiß läuft. Es ist anstrengend. Trotzdem bleibt noch
Zeit um ab und zu mal über die eigene Ungeschicklichkeit zu lachen.
Aikido mit Jenny macht den Abschluss.
Körperlich fahren wir etwas herunter. Die Techniken sind nicht ganz so
schweißtreibend, aber dafür ist der Kopf mehr gefordert. Der ist inzwischen
natürlich auch nicht mehr zu Hochleistungen fähig. Trotzdem schaffen wir es,
die Bewegungsabläufe, die uns Jenny in ihrer humorigen Art vorgibt,
einigermaßen korrekt nachzustellen. So etwas wie Stolz stellt sich ein.
Und dann ist es plötzlich vorbei. Die
Zeit ist um. Kaum zu glauben wie schnell die Woche vorüber ging. Wir sitzen im
Kreis, um uns voneinander zu verabschieden. So viele unterschiedliche Frauen,
verschiedene Stile und sogar Sprachen! Wir waren uns einige Tage ganz nah –und
jetzt verstreut uns das Leben wieder in alle vier Winde. Wehmut macht sich
breit, als wir uns bei den Trainerinnen, Helfern und auch beieinander bedanken.
Vielleicht sieht man sich irgendwann und irgendwo einmal wieder. Vielleicht
aber auch nicht. Diese Tage im Juli kann uns jedoch
keiner mehr nehmen.